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Lesetipps: Neue Sportbücher

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Wie ein Einsiedler das Laufen neu entdeckt

Es ist mehr als ein Buch über einen Läufer und über das Laufen an sich. Na klar, Markus Torgeby schreibt auch darüber, wie er als Jugendlicher, der nie still sitzen kann, diesen Sport für sich entdeckt. Auch darüber, dass er Talent mitbringt, es aber nie so einbringen kann, um wie erhofft in seinem Heimatland Schweden eine große Nummer zu werden. Torgeby will immer mehr, tut alles dafür, kommt aber nicht an sein Ziel. Er sitzt in der Zwickmühle, denn er liebt das Laufen wie nichts anderes: „Ich spüre diese Schwere in meinem Körper, die einfach nicht weggeht“, klagt er. Dann hört er von einem Mann, der in aller Einsamkeit im Wald lebt. Im Sommer wie im Winter. Es ist der Moment, in dem der damals 19-Jährige beschließt, selbst mit (Ruck)Sack und Pack in die Wildnis zu ziehen. Ein bemerkenswerter Selbstversuch – und ein Wendepunkt.

Seine Flucht vor dem Druck des Leistungssports, vor dunklen Gedanken und vor den Erwartungen der Familie ist der erste Schritt hinaus aus seinem persönlichen Dilemma. Aus dem einen Jahr im Wald werden schließlich vier. Torgeby hält im Zelt klaglos durch, auch bei Temperaturen von minus 37 Grad. Er besiegt die Angst vor der Dunkelheit und vor unsichtbaren Dämonen. In dieser Zeit habe er gelernt, mit sehr wenig zufrieden zu sein. Haferbrei, Honigwasser, Birkenrinde zum Feuermachen – viel mehr braucht der Einsiedler nicht, der auf der Suche nach einer Orientierung im Leben vor der Welt geflüchtet ist.

Rund 20 Jahre später zeigt Torgeby seinen Töchtern die Stelle im Wald, wo er sein Zelt aufgeschlagen hatte. „Warum hast du hier gelebt, Papa?“, wollen sie wissen. „Weil ich es wollte.“ Endlich hat er die Antwort auf die zentrale Frage gefunden, die sich ihm immer stellte: Was macht das Leben lebenswert? Und das ist der Punkt, der dieses Buch zu mehr macht als eine Art Biografie eines naturverbundenen Sportlers, in der ein sechsmonatiger Aufenthalt in einem Laufcamp in Tansania ein weiteres wichtiges Kapitel bedeutete. Spindeldürr und desillusioniert kehrt er aus Afrika zurück, obwohl er jetzt die zehn Kilometer in 28 Minuten laufen könnte. Er hat nur diesen Gedanken: „Ich sehne mich nach dem Wald.“

Ob Torgebys finale Botschaft verallgemeinerungsfähig ist, das muss jeder selbst entscheiden. Doch bei Sätzen wie diesen kommt man schon ins Grübeln: „Für viele wird Laufen zu einer Sache, bei der es um Konsum geht, einer Sache, über die Buch geführt und die irgendwann ersetzt werden muss. Nur eine weitere Leistung in einem Leben, in dem es darum geht, etwas zu erreichen. … Ich laufe, weil ich laufen möchte. Nicht, um Leistungen er erbringen. … Meine Rettung war, als ich all dies hinter mir ließ und alles entfernte, was hätte gemessen werden können: Distanzen, Geschwindigkeiten und Zeiten. Dinge, die manche inspirieren, aber noch mehr Menschen am Vorankommen hindern.“ Ein starkes Finish eines ungewöhnlichen Läufers.

Markus Torgeby: „Bis an die Grenzen des Seins. Mein Leben als einsamer Läufer in der schwedischen Wildnis.“. Meyer & Meyer Verlag. 236 Seiten, 14,95 Euro.

Von der Faszination des Pedalierens

Diese Jahreszeit ist gut dafür geeignet, so ein Buch zur Hand zu nehmen. Eines, in das man einen Teil jener Mühe und Ausdauer investieren muss, die man ansonsten bei kräftezehrenden Ausfahrten mit dem Rennrad aufwendet, und das sich nicht eben so „wegliest“. Bei dem es lohnt, es irgendwann ein zweites oder drittes Mal aufzuschlagen, um mit dem Lesen neu von vorne zu beginnen. Mit dem nahenden Winter haben die Beine mehr Ruhe, das ist die Chance für den Kopf. Und der ist bei Olivier Haralambon gefragt, denn sein Essay „Der Radrennfahrer und sein Schatten“ hat erklärtermaßen einen philosophischen Anspruch. Um im Bild zu bleiben: Dieser Anstieg zum Gipfel der Erfahrung, gespickt mit kurvigen Metaphern, hat es in sich.

Der Mann aus Paris, Jahrgang 1967, unternimmt den als gelungen zu bezeichnenden Versuch, jene Faszination zu erklären, die von diesem populären Sport ausgeht. Rad zu fahren – das ist für Haralambon eine Daseinsfrage, quasi eine Religion, und weit mehr, als nur mechanisch in die Pedale zu treten. Zu tun hat das nicht nur damit, dass er Franzose und damit Teil einer radsportverrückten Nation ist, sondern dass er schon als Halbwüchsiger seine erste Rennen bestritten hat. Rund 15 Jahre war Haralambon selbst Teil der Szene, über die er nun im Stil eines mit der Sache bestens vertrauten literarischen Feinmechanikers schreibt und dabei seine mitunter spezielle Sicht der Dinge einbringt.

Man stutzt schon, wenn etwa er über das Thema Doping schreibt und den Sündern dabei ein gewisses Maß an Absolution erteilt. „Grundsätzlich handelt es sich um eine vollkommene Unschuld. Radrennfahrer dopen sich nicht aus Berechnung oder um Karriere zu machen (diese Gründe kommen erst später). Sie dopen in einem völlig überflüssigen Sinne, sie dopen, weil es gut ist. Weil Fahren in diesen Geschwindigkeitsbereichen eine so großartige Erfahrung ist … Sie suchen nur den Weg zu ausgefallenen Freuden.“ Immerhin heißt es wenig später: „Sie sind zu dyonisischen Monstern geworden, weil sie sich hier und dort verblenden ließen … diese Verschwender, die sich nicht so sehr über ihre jahrelange Askese verschlissen als dadurch, sich der schwindelerregenden Ewigkeit des Augenblicks auszusetzen.“

Was also, wenn man es schaffen würde, ein Peloton frei von unerlaubten Mitteln an den Start zu bringen? „Ein Radrennen ohne diesen Irrsinn und Zorn, mit vernünftigen Teilnehmern“, wie es der Autor beschreibt. Für Haralambon wäre das keine Alternative. „Der Nachteil der Vernunft bleibt, dass man ihre Grenzen überschreiten und an ihrem Verrat arbeiten muss, um Großes erreichen zu können – und Champions waren große Champions deshalb, weil sie alle irre waren.“

Olivier Haralambon: „Der Radrennfahrer und sein Schatten. Eine kleine Philosophie des Straßenradsports“. Covadonga-Verlag. 166 Seiten, 16,80 Euro.


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